Im Blogartikel über das Beziehungskonto habe ich dir versprochen, genau zu diesem Thema einen weiteren Artikel zu liefern. Und hier ist er schon:
Für wen ist diese Methode besonders geeignet?
Eigentlich für jeden, der seine Konflikte rechtzeitig ansprechen und so lösen möchte, dass die Beziehungsebene zu der betroffenen Person nicht leidet (also keine Abbuchung vom Beziehungskonto). Hier stelle ich dir erstmal die beiden Extreme vor beim Umgang mit Konflikten:
Der (Konflikt-)Vermeider
Der Vermeider ist häufig aufgewachsen mit Sprüchen wie „Der Klügere gibt nach“ oder „Reden ist silber und Schweigen ist gold“. „Um des lieben Friedens willen“ und in der Hoffnung, dass der andere da ja selbst merken wird, beklagt er sich nicht, wenn ihm etwas in einer Beziehung missfällt (schon gar nicht seinem Chef gegenüber). Er befürchtet schlimme Konsequenzen und glaubt häufig, das ihm das gar nicht zusteht. Da aber der andere es NICHT merkt, ändert sich auch nichts. Der Vermeider wird immer frustrierter und wirkt manchmal auf andere „zickig“. Seinen Ärger immer in sich reinzufressen, macht auf Dauer krank. Irgendwann kommt der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt und der Vermeider explodiert. Der Adressat fällt aus allen Wolken, findet die Reaktion nicht angemessen (er nimmt ja nur den berühmten Tropfen wahr) und der Streit eskaliert so richtig. Fette Abbuchung vom Beziehungskonto!
Der (Konflikt-)Eskalierer
Aus seiner Sicht ist der Eskalierer nur ein „offener Typ“, der „einfach nur die Wahrheit sagt“ und die anderen können „bloß nicht damit umgehen!“ Was er nicht erkennt: Es ist nicht „DIE Wahrheit“, mit der er die anderen (auch gern ungefragt) konfrontiert, sondern lediglich SEINE Sicht auf die Dinge und andere dürfen auch gern anderer Meinung sein. Seine Beziehungskonten sind meist in den Miesen und wer kann, geht ihm aus dem Weg.
Gehörst du zu einer der beiden Gruppen oder liegst du irgendwo dazwischen? Dann schau dir an, wie du das künftig mit der SAG ES-Methode angehen kannst:
Schritt 1: S – Sichtweise schildern
Hier ist wichtig, dass du einfach nur deine Wahrnehmung schilderst. Was genau ist damit gemeint? Wir nehmen unsere Umwelt ausschließlich über unsere Sinneskanäle wahr, also sehen, hören, fühlen/tasten, riechen, schmecken. In den meisten Gesprächen geht es sicher darum, was du gesehen oder gehört hast und das sehr konkret, bspw. „Heute und auch beide Male letzte Woche bist du mehr als 3 Minuten zu spät ins Teammeeting gekommen.“ An dieser Stelle kann es sein, dass der andere sich schon komplett einsichtig zeigt und du auf Schritt 2 bis 5 verzichten kannst: „Oh ja, das ist mir selbst total unangenehm, wird nicht wieder vorkommen, versprochen.“
Achtung! Wir neigen dazu, gleich mit einer Bewertung statt einer Wahrnehmung ins Gespräch zu gehen, besonders wenn wir innerlich schon richtig sauer sind, z.B. „Du kommst immer zu spät!“. Jegliche Eigenschaft, die wir jemandem zuschreiben ist ebenfalls eine Bewertung, z.B. „Du bist unzuverlässig.“ Bei einer (negativen) Bewertung fühlt sich unser Gesprächspartner sofort angegriffen und geht in den Widerstand: „Bin ich gar nicht!“ und das Ja-Nein-Pingpong beginnt. Bei einer Wahrnehmung kann das nicht passieren.
Schritt 2: A – Auswirkungen mitteilen
Schildere dem anderen, was die Konsequenzen seines Verhaltens sind und warum dich das stört. Bspw.:
„Auf mich wirkt das respektlos vor der Zeit der anderen.“ Wichtig ist hierbei, dass du es wieder als Ich-Botschaft formulierst („auf mich wirkt das“ versus „Du bist…“), damit der andere erfährt, warum dieses Verhalten für dich problematisch ist, er sich aber nicht angegriffen fühlt.
„Dann müssen wir entweder auf dich zu warten, was jeden von uns Arbeitszeit kostet, die wir gern sinnvoller verbringen würden beim aktuellen Arbeitsvolumen oder schon mal ohne dich anfangen. Aber dann verpasst du die ersten Inhalte und ich muss dich hinterher extra informieren, was mich wieder Zeit kostet.
Schritt 3: G – Gefühle benennen
Sage dem anderen, welche Gefühle das in dir auslöst, z.B. „Ich merke, wie mich das langsam sauer macht. Darum ist es mir wichtig, das heute mal mit dir zu besprechen.“
Schritt 4: E – Erfragen, wie der andere die Situation sieht
Die Situation sieht häufig aus der Sicht der anderen Seite auch ganz anders aus. Es kann sein, dass er sein Fehlverhalten gar nicht bemerkt hat oder nicht so schlimm findet. Darum erfrage seine Sicht der Dinge: „Wie siehst du das denn?“ „Welche Gründe gibt es denn von deiner Seite?“ Es kann z.B. sein, dass er sagt „Oh ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Ich habe da vorher immer die Telefonkonferenz mit dem Oberchef, der überzieht fast immer und es ist mir dann unangenehm mich da einfach vorher auszuklinken“. Dann habt ihr gleich eine Gesprächsgrundlage für den nächsten Punkt:
Schritt 5: S – Schlussfolgerungen ziehen
Hier geht es darum, eine (möglichst einvernehmliche) Lösung zu finden: „Wie könnte eine gute Lösung aussehen?“ oder auch im Wiederholungsfall „Wie kannst du sicherstellen, dass das nicht mehr passiert?“
Eine persönliche Geschichte dazu
Es ist ein Sonntagnachmittag. Ich liege im Garten und freue mich, dass das Wetter genial warm und meine Umgebung voller Vogelgesang ist. Diese ruhigen Sonntagnachmittage ohne Rasenmäher und Heimwerkersägen sind einfach himmlisch! In einiger Entfernung unseres Hauses ist ein Fußballplatz und es läuft gerade ein Spiel, aber das ist kaum zu hören.
Es ist 14:00 Uhr als plötzlich Musik (Rap?) in irrer Lautstärke aus Richtung Sportplatz zu mir herüber dröhnt. Das Schlimmste sind eigentlich die Bässe, die gefühlt meinen kompletten Garten erschüttern. Meine Sonntagsruhe ist schlagartig vorbei. Hatte ich bereits erwähnt, dass ich hochsensibel bin? Ok, also erstmal Stöpsel in die Öhrchen, Hörbuch aufdrehen und Gartenarbeit. Ich will nicht gleich die Spielverderberin sein, denke ich, die werden schon selbst aufhören. Außerdem weiß ich nicht, auf wen ich da treffe und mit wem ich mich da anlegen werde… 15:30 Uhr, das Fußballspiel ist längst vorbei, aber die Musik gefühlt noch lauter. Ich finde, ich habe nun lange genug ausgehalten und mache mich auf Richtung Sportplatz. Noch bevor ich da ankomme – Stille! Yeah, denke ich, geht auch, ohne dass Mutti schimpfen muss und mache mich auf den Weg nach Hause.
Als ich dort ankomme, geht es wieder los… Ich bin schon leicht verzweifelt, verstehe kaum den Text vom Hörbuch und habe auch keine Lust mehr darauf. Ich weiß – wenn ich es jetzt nicht anspreche, kann ich es nicht mehr „im Guten“ klären, aber das ist mein Anspruch. Also los, erneut Richtung Sportplatz auf den Weg gemacht. Ich komme um die Ecke und sehe eine gigantische Box, aus der es dröhnt. Daneben ca. 8 Jugendliche (16-18?), die argwöhnisch mustern, wie ich langsam auf sie zu marschiere (der Sportplatz ist groß, uns trennen ca. 100 Meter). Außer uns niemand weit und breit. Die Situation lässt mich an Gary Cooper in High Noon denken. „Hi, mit wem muss ich reden wegen des Gerätes da?“, frage ich freundlich als ich die Gruppe erreiche. „Mit mir“, sagt einer der Jungs und schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Tja“, sage ich, „Das ist bestimmt ein tolles Teil, was du da hast und verstehe ja auch, dass ihr hier sonntags Spaß haben wollt. Auf der anderen Seite ist das hier ein Wohngebiet und eben Sonntagnachmittag. Ihr könnt es nicht wissen (damit baue ich ihnen eine Brücke) – die Musik ist so laut, dass sie auch dort noch sehr laut zu hören ist. Ich will ja nicht kleinlich sein und auch kein Spielverderber, daher habe ich das jetzt 2 Stunden erduldet (halte meine Kopfhörer hoch) aber jetzt kann ich einfach nicht mehr. Bitte dreht die Musik doch deutlich leiser, dass sie dort nicht mehr zu hören ist und nehmt vor allem die Bässe raus. Ist das ok?“ So, nun ist es raus. Was glaubst du, was sie antworten? „Wir haben uns sowieso schon gewundert, dass noch keiner was gesagt hat.“ (mein Reden!! Es wird sich nichts ändern, wenn keiner etwas sagt, warum sollte es!) „Außerdem haben sie das gerade so toll gesagt“ (genau das sagt er, ja, ich habe es „so toll“ gesagt und er hat es bemerkt!) „das verstehen wir natürlich“, geht zur Anlage und fährt sie runter, fragt mich noch, ob das so für mich ok wäre. Ich nicke und bedanke mich, wir wünschen uns noch gegenseitig einen schönen Sonntag und ich marschiere glücklich Richtung Garten. „Yes!“, sagt meine innere Stimme, „hat mal wieder gut funktioniert mit SAG-ES“. Warum bin ich nicht schon früher losgegangen?