Kati Wagner-Matthiess

Fehlerkultur: Was ist eine positive Enttäuschung?

Die „Positive Enttäuschung“ ist eine Reaktionsmöglichkeit auf Fehler deiner Mitarbeitenden, mit der du dafür sorgst, dass sich diese Fehler nicht wiederholen und gleichzeitig eure Beziehungsebene gestärkt wird. Du glaubst, beides gleichzeitig geht nicht? Dann lies weiter:

Ein Beispiel zu Beginn

Sie hörte, wie ihr Chef nebenan telefonierte. Sie erkannte schnell, dass der Anrufer eine Kundin war und dass sie sich offenbar über sie beschwerte. Siedendheiss lief es ihr den Rücken runter. Ja, da war diese eine Erstattung gewesen, besonders knifflig, dafür brauchte man Ruhe und die hatte sie nicht. Das hatte sie sich jedenfalls immer eingeredet, aber wenn sie ehrlich war, hatte sie auch keine Lust auf diese Sache gehabt. Daher hatte sie länger als nötig gedauert, bis sie endlich erledigt und in der Ausgangspost gelandet war. Und nun beschwerte sich also diese Kundin bei ihrem Chef. Ihr wurde ein bisschen schlecht.

Sie hörte, wie ihr Chef sie vor der Kundin verteidigte, um Verständnis bat, da gerade so unglaublich viel zu tun sei. Das freute sie einerseits zwar sehr, aber es war ihr vor ihrem Chef jetzt noch peinlicher. Schließlich hatte er sich auf sie verlassen und sie hatte ihn enttäuscht. Es war ihr so mega unangenehm und sie schwor sich, dass ihr das nie wieder passieren sollte. Sie hörte, wie er das Gespräch beendete und den Hörer auflegte. Gleich würde er durch die Tür zu ihr ins Zimmer kommen. Bestimmt würde es gleich ein Donnerwetter geben, verdient hatte sie es jedenfalls. Als er sie vom Türrahmen her anschaute, war ihr fast zum Heulen. „Na, was haben Sie denn da gemacht, so kenne ich sie ja gar nicht. Aber wenn ich sie so anschaue, dann sehe ich schon, dass Sie sich selbst am meisten darüber ärgern. Ich bin sicher, das passiert Ihnen nicht wieder.“ Schmunzelnd verschwand er in seinem Zimmer. Sie konnte ihr Glück kaum fassen – sie hatte den besten Chef der Welt! Wenn sie mal Chefin sein würde, wollte sie genauso sein.

Diese Geschichte ist 30 Jahre her und ich habe sie nie vergessen. Vielleicht hast du es schon geahnt – diese Mitarbeiterin war ich selbst.

Unter welchen Voraussetzungen ist die „Positive Enttäuschung“ das Mittel der Wahl?

  • Die Mitarbeiterin erkennt im Nachhinein selbst, dass sie einen Fehler gemacht hat
  • Es ist ein einmaliger Ausrutscher und ihr selbst sehr unangenehm. Sie wünschte, sie hätte anders reagiert
  • Sie ist willens und in der Lage, den Fehler zukünftig durch eigenes Verhalten zu verhindern
  • Die Mitarbeiterin hat nicht versucht, die Sache zu vertuschen (sollte es so sein, darfst du dich mal fragen, warum)
  • Funktioniert nicht, wenn sich die Mitarbeiterin in der Opferrolle sieht

Auf wie viele deiner eigenen Fehler treffen diese Punkte zu? Meiner Erfahrung nach auf die allermeisten!

Wie genau gehst du als Leader vor?

  • Du sprichst den Sachverhalt unter 4 Augen und ohne Vorwurf an (nicht immer ist so eine elegante Lösung mit der offenen Tür beim Telefonat im Beispiel möglich, es könnte aber auch die Weiterleitung einer eMail o.ä. sein) und stellst bei Bedarf Verständnisfragen
  • Sind im aktuellen Fall bereits die Kohlen aus dem Feuer geholt? Wenn nicht – besprecht die nächsten Schritte
  • Lösungsorientierung: Frage, was sie beim nächsten Mal anders machen wird bzw. wie sie absichern kann, dass es nicht wieder passiert. Manchmal brauchst du das gar nicht fragen, weil es die Mitarbeiterin schon gleich von sich aus erzählt
  • Zeige dein Vertrauen darin, dass die Mitarbeiterin diesen Fehler nicht wiederholen wird

Wichtig ist, dass du nichts dramatisierst oder mit Schuldzuweisungen kommst. Das passiert sehr häufig, ist aber in diesen Fällen überhaupt nicht nötig. Das fordert nur Gegenwehr heraus, nach dem Motto „Na so schlimm wie sie jetzt hier gerade tut, ist das ja nun auch nicht, kann doch jedem mal passieren.“

Fazit

Du KÖNNTEST aufgrund deiner Machtposition den Fehler eines anderen mit Strafen sanktionieren oder „an die große Glocke hängen“ und ihn weiter beschämen, aber – du tust es nicht! Trotzdem stellst du sicher, dass der andere aus diesem Fehler gelernt hat. Das ist immer eine riesige Einzahlung auf euer Beziehungskonto und fördert eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Das funktioniert übrigens auch wunderbar in der Kindererziehung.

Hast du vielleicht selbst Beispiele für die „positive Enttäuschung“ erlebt? Dann schreib es gern in die Kommentare.

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